Das Lied "Brunn alles Heils, dich ehren wir" (EG 140) ist ein Segenslied, das man ähnlich wie "Bewahre uns Gott" oder "Verleih uns Frieden" häufiger als Schlusslied vor dem Segen singen könnte. Die Gebrauchsanweisung des Dichters Gerhard Tersteegen empfahl, es morgens, abends, bei Tisch, nach der Predigt und zu aller Zeit zu beten. Die Mittelstrophen 2-4 entfalten den aaronitischen Segen trinitarisch. Die Einordnung unter die Gesangbuchrubrik der Trinitatislieder verhindert leider eine häufigere Verwendung als Schlusslied.
Eine Frage entzündet sich an der letzten Strophe. Sie beginnt im Original mit der Anrede "Jehova, Vater, Sohn und Geist". Erst im EKG nach 1945 wurde es korrigiert in "Gott Vater, Sohn und Heilger Geist".
Das Wort "Jehova" ist erklärungsbedürftig. Die hebräische Schrift ist eine reine Konsonantenschrift. Die Aussprache mit Vokalen wussten geübte Leserinnen und Leser ohne weiteres zu ergänzen. Erst im Mittelalter wurden in biblischen Texten Punkte und Striche als Vokalzeichen unter die Konsonanten gesetzt.
Damit man den Gottesnamen auf keinen Fall "unnütz gebraucht" (2. Gebot), sollte er lieber garnicht genutzt werden. Deshalb setzte man unter Gottesnamens IHWH als Erinnerung die Vokalzeichen des hebräischen Wortes Adonai ("meine Herren") und las den Gottesnamen IHWH als Adonai.
Der Alttestamentler Jürgen Ebach, Das Alte Testament im Klangraum des evangelischen Gottesdienstes, 2016, S. 62 schreibt dazu: "Liest man jene Verbindung der Konsonanten des einen (IHWH) und der Vokale des anderen Wortes (Adonai) so, wie es nun im Text steht, ergibt sich die Lesung j´howa, Jehova. Diese Leseweise entspricht gewiss nicht der Absicht derer, die so gerade die Differenz zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Gottesnamen markieren wollten. Allerdings ließe sich durchaus erwägen, gerade die Un-Form stark zu machen (wie es u.a. Moses Mendelssohn tat), weil womöglich sie geeignet sein könnte, das Problem des unaussprechlichen Namens bewusst werden zu lassen."
"Jehova" werden viele heute assoziieren mit den "Zeugen Jehovas". Doch ist das ein Grund, dieses Wort zu meiden? Das Wort wurde durch den Philosemitismus der Frühaufklärung im Kirchenlied häufiger verwendet (s. EG 328 Dir dir, Jehova, will ich singen). Für das nationalsozialistische Propagandablatt "Der Stürmer" war "Jehova" dagegen eine abschätzige, antisemitische Bezeichnung für den "Judengott".
Den Verantwortlichen für ein neuen Deutschen Evangelischen Gesangbuchs war in der NS-Zeit daran gelegen, sogenannte Judaismen im Gesangbuch zu beseitigen. "Zionismen-Ausschüsse" erarbeiteten entsprechende Korrekturvorschläge. Verantwortlich für die Gesangbuchredaktion vor und nach 1945 waren u.a. Christhard Mahrenholz und Oskar Söhngen. Sie waren die Väter des Evangelischen Kirchengesangbuchs (EKG) von 1950, nachzulesen bei Cornelia Kück, Kirchenlied im Nationalsozialismus. Die Gesangbuchreform unter dem Einfluß von Christhard Mahrenholz und Oskar Söhngen, Leipzig 2003.
Die Ersetzung des Wortes "Jehova" in den Liedern "Brunn alles Heils" sowie in "Dir, dir, Jehova, will ich singen" wirkt für mich wie ein Relikt aus der Zeit der "Zionismen-Ausschüsse". Für ein zukünftiges Gesangbuch empfiehlt sich daher m.E. eine Rückkehr zum Ursprungstext mit einer erläuternden Fußnote.
Dafür sprechen auch trinitätstheologische Gründe, denn die Version "Gott Vater, Sohn und Heilger Geist" spricht durch die Zeichensetzung (Komma hinter Vater) das Gottsein allein dem Vater zu. Anders die Ursprungsversion: "Jehova , Vater, Sohn und Geist". Sie impliziert eine unscheinbare, aber brisante Zuspitzung im Gottesverständnis: Der Gott Israels, der Gott des Alten Testamentes, offenbart sich dreifaltig als Vater im Sohn durch den Geist.
Eine aktuelle Predigt zu diesem Lied, gehalten Trinitatis 2024, finden Sie im Ordner "Trinitatis bis Erntedank".